Waschkastanien für Skeptiker – und für Klugscheißer

WaschkastanienKastanien zum Waschen? Gefääährlich…

Wenn du überlegst, mit Kastanien statt mit handelsüblichen Waschmitteln zu waschen, wirst du unter Umständen im Bekanntenkreis mit Warnungen verschiedenster Art überschüttet, die einen schon sehr verunsichern können und die ich hier deshalb einmal genauer beleuchten möchte. Das geht nicht gänzlich ohne Klugscheißen, für das ich mich jetzt schon entschuldige, aber es lohnt sich trotzdem. Fangen wir mal an mit den Warnungen zu den Waschkastanien:

Weiße Wäsche wird grau

Auslöser der aktuellen Diskussion war ein im Juli 2019 erschienener Artikel der Stiftung Warentest, der sowohl Waschkastanien als auch Waschnüssen eine unzureichende Waschleistung bescheinigte. Die deutlichen Reaktionen der Kommentatoren legen die Vermutung nahe, dass hier doch der Praxisbezug fehlte.

  • https://www.test.de/Waschnuesse-und-Waschkastanien-im-Test-Graue-Waesche-kein-oekologischer-Nutzen-5496372-0/

Trotzdem kann weiße Wäsche ein Problem darstellen, wohl eher bei Waschnüssen als bei Kastanien. Wenn du sehr hartes bzw. kalkhaltiges Wasser hast, lässt das weiße Wäsche beim Waschen grau werden. Das wird sie auch mit gekauften Waschmitteln. Bei denen merkst du das nur nicht, denn viele Waschmittel enthalten neben zu diesem Zweck eingesetzten Enthärtern, Bleichmitteln und Mikroplastik sogenannte optische Aufheller – fluoreszierende Hilfsmittel, die die Wäsche für unser Auge strahlend weiß erscheinen lassen. In Wirklichkeit ist sie genauso grau wie vorher. Der erste schon Ende des 18. Jahrhunderts entdeckte optische Aufheller war ulkigerweise das in Rosskastanien enthaltene fluoreszierende Aesculin. Vielleicht waschen Kastanien deshalb besser als Waschnüsse.

  • https://de.wikipedia.org/wiki/Aesculin

Kastanien machen die Waschmaschine kaputt

Bei sehr kalkhaltigem Wasser bilden sich durch manche Waschmittel sogenannte Kalkseifen, die sich im Inneren der Waschmaschine anlagern können. Dem kann man aber vorbeugen. Normaler Haushaltsessig wirkt nicht nur als guter Weichspülerersatz, und dessen Säuregehalt ist NICHT ausreichend, um Kunststoffteile an und in der Waschmaschine zu schädigen. Essig und auch Zitronensäure können solchen Kalkablagerungen wirksam vorbeugen.

Alle natürlichen Saponine sind giftig

Dieses oft gehörte Argument lässt sich gleich mehrfach entkräften. Nicht nur enthalten sehr viele unserer Nahrungsmittel wie Erbsen, Spargel usw. natürliche Saponine, sondern das berühmte Kraut der Unsterblichkeit enthält gleich über 100 verschiedene. Max vom Gartenkanal und Severin vom Kanal Garteln haben zum Jiaogulan ja schon vor einiger Zeit Videos gemacht, die ich für euch mal verlinke:

Wie so oft gilt, dass die Dosis das Gift macht. Wer kennt nicht die Warnung vor dem übermäßigen Verzehr von Lakritz – auch hier sind es Saponine, die den Körper schädigen können. Diesmal kommen sie aus der Süßholzwurzel. Und hier siehst du schön, was ich mit der Dosis meinte, denn die Süßholzwurzel wird zum Beispiel auch wirksam gegen Husten etc. eingesetzt.

Kastanien töten Wasserorganismen

Dieses Argument hört man am häufigsten, und es wird immer in nahezu identischer Form vorgetragen, nämlich durch Formulierungen wie ‚wäre ich dankbar, wenn dieser gefährliche Unsinn (also das Waschen mit Kastanien) nicht weiter verbreitet würde‘. Was ist dran?

Im Wesentlichen stützt diese Behauptung sich auf zwei Quellen. Die erste dieser Quellen ist

Das massive Fischsterben in der Ukraine

Bei dem hierzu gehörenden im Januar 2006 veröffentlichten Artikel (alle Links sind übrigens auch noch mal in der Infobox) ging es zum Einen nicht um Kastanien, sondern um den möglichen Saponineintrag durch die Zuckergewinnung aus Rüben, zum Anderen war das Fischsterben rein hypothetischer Natur, denn es handelte sich um ein Experiment und nicht um ein tatsächliches Massensterben. Genauer wird sogar im Fazit eine Übertragbarkeit auf tatsächliche Gegebenheiten in Frage gestellt. Eine sehr wertvolle Erkenntnis aus diesen Versuchen ist wohl die für Fische tödliche Konzentration von 2 Gramm reinen Saponinen pro Liter Wasser. Diese Zahl brauchen wir später noch.

Grib, I. & Goncharenko, N. & Voytyshina, D.. (2006). Saponin as a Factor of Mass Fish Mortality in the Rivers of Ukraine. Hydrobiological Journal. 42. 61-71. 10.1615/HydrobJ.v42.i6.50.

Die zweite Quelle ist die, die sich in beinahe JEDER Warnung vor Waschkastanien wiederfindet:

Das massive Fischsterben im Unterallgäu

Dieses Ereignis hat tatsächlich stattgefunden. Da es in diesem Ausmaß das Einzige seiner Art ist, habe ich hierzu genauer recherchiert. Was war passiert?

In der kleinen Gemeinde Waal im schwäbischen Landkreis Ostallgäu geht mitten durch den Ort eine lange und malerische Kastanienallee. Die habe ich hier auf der Luftaufnahme mal rot markiert. Die Quellenangabe ist in der Infobox. Direkt neben der Straße, also wirklich direkt daneben, fließt die Singold als noch kleiner (weil eben erst entsprungener) Bach. Die markiere ich mal blau.

https://www.google.com/maps/place/86875+Waal/@47.9965361,10.7776552,189m/data=!3m1!1e3!4m5!3m4!1s0x479c3d91fd55b3a5:0x6450dcbe4719315e!8m2!3d47.995807!4d10.7764229

Die im Herbst von den Bäumen gefallenen Kastanien wurden auf der Durchgangsstraße zu Zig- oder womöglich sogar Hunderttausenden plattgefahren und zerquetscht. Dann setzte ein Starkregen ein. Den Rest kann man sich ausmalen: Die Straße schäumte regelrecht auf, und dieser ganze Seifenschaum wurde in das Bächlein gespült. Dass das den Fischen arg zugesetzt hat, kann sich wohl jeder vorstellen. Den sehr interessanten Artikel dazu findest du online.

https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Detektivarbeit-nach-dem-Fischsterben-id24944191.html

Sind Kastanien in der Waschmaschine also ungefährlich?

Kommen wir noch einmal zu der eben erwähnten schädlichen Konzentration zurück:

Rosskastanien enthalten etwa 10 bis 15 Prozent Saponine. Die größten Kastanien, die ich dieses Jahr gesammelt habe, wiegen 25 Gramm. Diese hier hat etwas weniger, aber möchte das zum Rechnen vereinfachen. Selbst wenn du bei sehr hartem Wasser fünf davon brauchst, hast du maximal knapp 19 Gramm Saponine pro Waschgang, vorausgesetzt es gelingt dir, restlos alle Saponine aus den Waschkastanien zu lösen, was sowieso nicht klappt, aber egal. Wir rechnen ja jetzt nur. Kämest du also mit einem einzigen 10-Liter-Eimer Wasser pro Waschladung einschließlich Spülgang aus, lägest du ganz knapp unter der 2-Prozent-Grenze zum Fischsterben. Vorausgesetzt du betätigst nicht die Toilettenspülung, duschst nicht und benutzt auch sonst kein Wasser. In Wirklichkeit liegt der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Waschgang bei neueren Maschinen aber um die 50 Liter, bei älteren teils doppelt so hoch.

Du könntest also dein Waschwasser mit der Kastanienlauge direkt in den nächsten Bach laufen lassen. Das macht aber kaum jemand, denn aus fast allen Haushalten fließt das Wasser erst einmal in die nächste Kläranlage. Bis es dort wieder herauskommt, ist ein Großteil der Saponine längst abgebaut. Was dann noch übrig bleibt, ist ein Vogelschiss im Vergleich mit dem, was sich dort sonst noch findet, zum Beispiel die wieder ausgeschiedenen Reste der etwa 30.000 Tonnen Humanarzneimittel, die alleine in Deutschland jedes Jahr verkauft werden (siehe hierzu den eben erwähnten Artikel in der Augsburger Allgemeinen), die tatsächlich schädlichen Inhaltsstoffe industriell gefertigter Reiniger etc.

Tödlich für Fische sind auch Tierexkremente nach Wurmkuren, und doch bleiben die hier bei uns im Ort einfach direkt neben den Wassergräben auf der Straße liegen und werden vom Regen ins Oberflächenwasser gespült. Ebenfalls tödlich sind die Gülleeinleitungen, die selbst nach dem Durchlaufen der Kläranlage in unserem Leitungswasser für einen zeitweise extrem erhöhten Nitratgehalt sorgen, an dem bei meiner Schwester beispielsweise in beiden Aquarien die Fische gestorben sind, als mal das Regenwasser eingefroren war und sie Leitungswasser genommen hatte.

Trotzdem stellt sich nach all dem die Frage:

Sind Waschkastanien wirklich die bessere Wahl?

Was ist die Alternative? Weiter waschen wie bisher?

Ebenfalls im Juli 2019 erschien beim Ökotest ein Artikel zu Mikroplastik in Waschmitteln, der in der Diskussion um die angebliche Schädlichkeit von Rosskastanien offensichtlich kaum Beachtung findet:

https://www.oekotest.de/kosmetik-wellness/Alarmierende-Analyse-Mikroplastik-in-119-Waschmitteln-zugesetzt-_10737_1.html

Zu einem von mir früher gerne verwendeten Colorwaschmittel habe ich einmal die Inhaltsstoffe herausgesucht, die vom Hersteller übrigens öffentlich verfügbar gemacht werden:

  • Ingredients(INCI-/IUPAC-Names)
  • Aqua
  • Sodium Laureth Sulfate
  • Dodecylbenzenesulfonic Acid
  • Sodium Salt
  • Fattyalcohole C10-18,
  • ethoxylatedC8-18 Fatty Acids
  • Sodium Salts
  • Propylene Glycol
  • Parfum
  • Sodium Citrate
  • Boric Acid
  • Sodium Salts
  • Trisodium Dicarboxymethyl Alaninate
  • Sodium Diethylenetriamine Pentamethylene Phosphonate
  • Glycerin
  • Sorbitol
  • Protease
  • Amylase
  • Citronellol
  • Limonene
  • alpha-Isomethyl Ionone
  • Coumarin
  • Hexyl Cinnamal
  • Benzisothiazolinone
  • Methylisothiazolinone
  • Phenoxyethanol
  • Colorant

http://thurn-info.de/pdf/tandil/IDBTandil_FlCWM_PremiumDuftPinkOrchid_2,625L_8011023016_12_13.pdf

Einiges davon ist harmlos, anderes nicht, aber in meinen Augen lässt die ganze Diskussion über die Inhaltsstoffe der Rosskastanie doch eines außen vor, was zumindest mir bei der Entscheidungsfindung mindestens genauso wichtig war:

Alle Waschmittel, auch Biowaschmittel, werden mit enormem Aufwand industriell hergestellt. Die Rohstoffe müssen vorher ebenfalls gewonnen bzw. produziert und teils von weit her in die Fabriken transportiert werden. Die fertigen Waschmittel werden oft Hunderte oder Tausende von Kilometern gefahren, bevor sie in unserem Einkaufswagen laden. Pro Kopf verbrauchen wir im Schnitt etwas mehr als 7 Kilogramm Waschmittel pro Jahr. Die kommen natürlich nicht unverpackt daher, so dass Unmengen Plastikmüll anfallen.

Selbst wenn Recyclingflaschen und –verpackungen sich mehr durchsetzen, müssen doch auch die hergestellt und anschließend wiederverwertet werden, ebenfalls mit hohem Energieaufwand. All das entfällt bei von uns selbst gesammelten Rosskastanien. Und wenn du den Aufwand beim Sammeln, Trocknen und Zerkleinern dem Preis für gekaufte Waschmittel gegenüberstellst, ist eventuell schon das ein Plus für dich.

Selbst wenn du deine weiße Wäsche anders wäschst, zum Beispiel mit Soda und Zitronensäure, und deine verbleibenden im Schnitt 80 Prozent Buntwäsche mit Waschkastanien: Der Gewinn für die Umwelt wäre so enorm groß, dass man das kaum beziffern kann.

DAS sind die Gründe, warum ich Kastanien als Waschmittel so toll finde.

Waschkastanien für Skeptiker – und für Klugscheißer

Die in diesem Video erwähnten YouTube-Kanäle sind:

Die gezeigten Videoausschnitte sind aus:

Sonstige Quellen in der Reihenfolge ihrer Erwähnung: